25.09.2020 - 20.06.2021 Der Wunsch zu verschwinden ------------------------------------------------------------------------------------------------ |
------------------------------------------------------------------------------------------------ Vorwort Täglich hinterlassen wir unzählige Spuren von uns und unserem Umfeld im virtuellen Raum, und es werden Wege, Standorte, Fotografien, Selfies, Meinungen, Posts und vieles mehr aufgezeichnet. Wie kann man dieses stetig wachsende Archiv von persönlichen Informationen eingrenzen? Kann man die eigenen Spuren verwischen, unsichtbar machen? Der Künstler Max Schulze nähert sich in seiner neuesten Serie „Der Wunsch zu verschwinden (Camopedia)“ dieser Sehnsucht nach Unsichtbarkeit. Er hinterfragt den für die heutige Zeit ungewöhnlichen Wunsch, abzutauchen, nicht auffindbar zu sein. Dabei greift er auf militärische Tarnmuster zurück. Längst sind diese unbewusst im Alltag verankert und gehören zudem seit einigen Jahrzehnten zum gängigen Formenrepertoire von Mode und Design. Seine Gemälde, die von Camouflage-Mustern verschiedenster Zeiten, Länder und Regionen ausgehen, gaben den Anstoß, den Künstler ins Museum Ratingen einzuladen, regen sie doch herrlich die Phantasie und die Diskussion über das Medium Malerei an. Erfreulicherweise ist er der Einladung gefolgt! Im Museum Ratingen hat er eine ortsbezogene Einzelausstellung konzipiert. Dabei reagiert er im Erdgeschoss mit einer Installation seiner Arbeiten dezidiert auf die Ausstellungsräume und kuratiert im Dialog hierzu im Obergeschoss die Präsentation von Werken aus der museumseigenen Sammlung. Der Künstler erhält somit die Möglichkeit, seine aktuelle künstlerische Entwicklung anhand der Serie „Der Wunsch zu verschwinden (Camopedia)“ sowie weiterer jüngerer Werkgruppen vorzustellen und zugleich die für ihn wichtigen Fragestellungen in der Malerei anhand der ausgewählten Gemälde und Papierarbeiten der Zeit nach 1945 des Museums Ratingen neu zu reflektieren. Die Sammlung von Kunst nach 1945 ist ein wichtiges Identifikationsmerkmal des Museums. Informel, Abstraktion, Art Brut und neue Gegenständlichkeit sind dabei Konstante, mit denen wichtige Etappen der Entwicklung in der Malerei von der frühen Nachkriegszeit bis in die 1980er-Jahre nachvollzogen werden. Schulzes künstlerischer Fokus liegt auf dem Medium Malerei. Seine Bildsprache orientiert sich oft an dem entgegengesetzten Repertoire des Informel und des Comic, wobei sich die direkte, automatische Malweise oftmals gegen die darstellerischen Mittel der „Bildgeschichten“ deutlich zu wehren scheint. Weiterhin charakteristisch ist, dass er sich intensiv den Räumen zuwendet, in denen er ausstellt. So arbeitet er installativ, spielt mit den Grenzen von Fläche und Raum, Werk- und Objektcharakter, High und Low Art. Dabei wird in den letzten Jahren ein konzeptueller und serieller Ansatz immer offenkundiger. Im Museum Ratingen zeigt er nach einem kurzen Einblick in seinen Werdegang drei Werkgruppen: Die Serie „Cool Mild Pure Warm (Streetfile)“ setzt sich mit Farbsystemen und der Frage auseinander, wie Farbe in der Öffentlichkeit benutzt und wahrgenommen oder speziell eingesetzt wird. So konfrontiert er im Internet gefundenen Fotografien von Farb-Attentaten auf Denkmäler, Politiker oder Häuser, mit den fein nuancierten Farbstreifen der „Schöner Wohnen Farbtonstudio-Kollektion“. Ihm geht es um die Frage, an welchen Orten und auf welche Weise Malerei im Jahr 2020 entsteht: Wie sieht es mit der althergebrachten Kategorisierung von Abstraktion und Figuration aus? Welche Wege sucht sich die heutige Malerei und welche ästhetische Kraft ist ihr eigen? Antworten hierauf sucht Schulze auch in der zweiten präsentierten Werkgruppe „EPS“. Ausgearbeitete Bilder auf Leinwand sind mit Styroporplatten verdeckt, bzw. gedämmt. Sie stellen einen Schutz, eine objekthafte Verkleidung des Bildträgers dar. Das Material, welches durch seine industriell definierte Größe von 100 x 50 cm den Bildraum strukturiert, ist an einigen Stellen aufgebrochen und gibt Teilbereiche der darunterliegenden Bildebene frei. Diese ist mal gestisch, mal grafisch mit informell, spontan wirkenden Bildelemente bemalt und bespritzt worden. In der Gesamtkomposition dieser Überlagerungen ergibt sich ein geheimnisvolles Bild: Was kann Malerei als Medium transportieren und was nicht? Wird durch die Dämmung versucht, die dem Bild, der Malerei, eigene Energie, zu halten, so das nicht so viel derselben entweichen kann? Oder nimmt die Dämmung des Bildgeschehens, ähnlich der Dämmung einer Häuserfassade im Stadtraum, diesem seine Individualität und Eigenheit? In der dritten, bereits erwähnten Serie untersucht Max Schulze wiederum Tarnmuster in Kombination mit einem weiteren kommerziellen Farbsystem für den Endverbraucher. Die 32 Bilder der Serie „Der Wunsch zu verschwinden (Camopedia)“ basieren auf den 32 Farbtönen des Systems „Alpina Feine Farbe“, bei denen die Farben Namen wie „Elfenbein-Rebellin – Zurückhaltendes Pastellgelb“ oder „Leiser Moment - Graziles Graulila“ haben. Dieses speziell „kuratierte“ Farbsystem wird im Handel mit Marketing- und Wohlfühlstrategien angereichert und den Kunden als „fertiges Produkt“ für die Raumgestaltung angeboten. Schulze nimmt diese Farben als Ausgangspunkt für seine Bilder und verknüpft sie mit Versatzstücken von zu militärischen Zwecken hergestellten Camouflage-Mustern der letzten 90 Jahre. Heute ist „Camo“ ein Trend-Muster welches sich auf allen erdenklichen Produkten (von Babykleidung bis Kopfkissen) wiederfindet. Es wird nicht mehr dazu benutzt etwas verschwinden zu lassen, sondern, ganz im Gegenteil, um aufzufallen. Wie bewusst wird den Betrachtern dabei die Militarisierung von alltäglichen Dingen durch diese Muster? Der Künstler hinterfragt in seinen großformatigen Gemälden einerseits die allgegenwärtige Präsenz und Akzeptanz von Camouflage in Mode und Design, deren ursprünglicher Sinn die Unsichtbarkeit ist, andererseits spielt er mit den Emotionen, die bestimmte Farbtöne und -harmonien beim Endverbraucher provozieren sollen. Max Schulze markiert außerdem mit seiner Ausstellung die Geschichte des Museum Ratingen: Seine Installation berücksichtigt die verschiedenen Bauabschnitte des Museums der 1970er- und 1990er-Jahre, indem er seine Werkgruppen den einzelnen Gebäudeteilen zuordnet und somit jeweils einen individuellen Fokus setzt. Ihnen ist gemeinsam, dass sie bei der Betrachtung der Originale in den sehr unterschiedlichen Ausstellungsräumen zu einer direkten und unmittelbaren Auseinandersetzung herausfordern. Auf der Grundlage seiner künstlerischen Fragen und aus Künstlersicht stellt er zudem eine Auswahl aus den Museumsbeständen zusammen. Insbesondere seine Hängung informeller Kunst und der Art Brut, die einen Schwerpunkt in der Sammlung des Museums Ratingen bildet, lässt spannende Interpretationen erwarten. Werke des Informel von Peter Brüning, Gerhard Hoehme, Bernard Schultze, Emil Schumacher verbindet er unter anderem mit farbintensiven Arbeiten von Michael Buthe, Jannis Kounellis und Karl-Horst Hödicke. Aber auch sehr unerwartete, humorvolle Setzungen könnten die Besucherinnen und Besucher überraschen! ------------------------------------------------------------------------------------------------ Installationsansicht Foto: Johannes Bendzulla
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